Historisches Archiv der Region Biel, Seeland und Berner Jura

Der Kallnach-Airport

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Der Kallnach-Airport — Behördliche Bruchlandung im Grossen Moos

Das Volk wollte keinen "Kallnach-Airport"

In den frühen Siebzigerjahren sollte im Grossen Moos, wenn es nach dem Willen des Bundesrates und des bernischen Regierungsrates gegangen wäre, ein Kontinentalflughafen gebaut werden. Die Einigkeit demonstrierende seeländische Bevölkerung, mit dem "Bieler Tagblatt" im Rücken, konnte dies verhindern. Für immer?

Ganz harmlos begann es 1947, als der bernische Grosse Rat, ohne weitreichende Überlegungen anzustellen, wie es sich Jahre später zeigte, eine Motion aus touristischen Kreisen des Berner Oberlandes guthiess, die den Regierungsrat beauftragte, "die notwendigen Massnahmen zur Schaffung eines Berner Flughafens zu treffen". Die Bundesstadt und der oberländische Tourismus sollten den Anschluss an den internationalen Flugverkehr nicht verpassen, liess sich der Regierungsrat vernehmen.

Nur eine "vorsorgliche Massnahme"

Es blieb viele Jahre still in dieser Sache. Im Bereich Kallnach/Niederried/Bargen plante das kantonale Meliorationsamt mit der ansässigen Bevölkerung die längst fällige Güterzusammenlegung (GZ). So ganz verborgen blieb es nicht, dass der Regierungsrat im GZ-Perimeter 180 Hektaren Land reservierte. "Eine vorsorgliche Massnahme, vielleicht einmal für einen Flugplatz", wurde regierungsseits beiläufig begründet. Im Seeland war man vorerst noch unbekümmert, lag doch noch nichts Konkretes vor. "Wer will denn im weichen Moos eine harte Flugpiste bauen? Absolut lächerlich!" tönte es etwa an seeländischen Stammtischen. Allein, Bern meinte es ernst. Just als die GZ in ihre Endphase trat, der Neulandantritt in die Wege geleitet und grünes Licht für den Bau von elf neuen Siedlungen im Moos gegeben wurde, kam das "Njet" aus Bern, unterschrieben vom Bundesrat und der bernischen Regierung. Bewilligungsaufschub, hiess es. Was führte zu diesem im Seeland unverständlichen Entscheid? Ganz einfach: Für einen Berner Flughafen kam ein weiterer Ausbau des Belpmooses aus verschiedenen Gründen nicht in Frage, und der Ebene von Utzenstorf, wo auch sondiert wurde, stand die Bevölkerungsdichte im Wege. Blieb nur noch das Grosse Moos. "Kallnach-Airport" war plötzlich in aller Leute Mund. Die damals von gewisser Seite geforderte und inzwischen ad acta gelegte so genannte "Seelandtangente" sollte als Zubringer eine wichtige Rolle spielen.

Wir sind das Volk!

Da fragte sich vorerst einmal der Seeländer Grossrat Hans E. Herrmann aus Nidau, warum denn eigentlich mit grossem finanziellen Aufwand eine zweite Juragewässerkorrektion durchgeführt wurde, mit dem Ziel, das Grosse Moos als Kulturlandschaft zu erhalten und aus ihm den grössten, fruchtbarsten und schönsten Gemüsegarten der Schweiz zu machen. Er rief die seeländische Bevölkerung zum Widerstand auf: "Wehret euch gegen dieses teuflische Werk, das Schmutz und Lärm und nervenzerreissende Geschäftigkeit ins Seeland bringt!" Herrmann traf die empfindlichste Stelle der Seeländer. Zuhauf fand er Gleichgesinnte. Der kämpferische "Schutzverband gegen einen bernischen Flughafen im Grossen Moos" wurde gegründet. Er organisierte laufend Protestveranstaltungen, wo Klartext gegen das Bauvorhaben gesprochen wurde.

Im Landesinteresse

Der Regierungsrat stand mit dem Rücken zur Wand. Der Bundesrat versuchte zu retten, was noch zu retten war. Er gelangte am 9. Februar 1972 "freundeidgenössisch" in einem Schreiben an den Regierungsrat und versicherte ihm seine Unterstützung. Der Regierungsrat sollte alles unternehmen, die Grosses-Moos-Flughafenpläne voranzutreiben. Der Bau eines vierten Grossflughafens, so der Bundesrat, werde sich für unser Land in absehbarer Zeit aufdrängen, weil Kloten, Cointrin und Basel dereinst nicht mehr in der Lage sein würden, den stetig anwachsenden Flugverkehr aufzunehmen. Die Planung eines Kontinentalflughafens im Grossen Moos sei deshalb im Landesinteresse. Und dann der Satz an die ach so unterentwickelten Seeländer: "Das wirtschaftliche Interesse der Region wird, wenn nicht in unmittelbarer, so doch in absehbarer Zukunft seine Verwirklichung fordern."

Fragwürdiger Umweltschutz

Das "Bieler Tagblatt", ganz auf der Seite der Flugplatzgegner, konterte: "Glaubt denn die Landesregierung, dass wir uns von der Argumentation überzeugen lassen? Klingt es für uns Seeländer nicht geradezu zynisch, wenn der Bundesrat verspricht: ‹Das Projekt wird in seiner weiteren Bearbeitung stets unter allen Gesichtspunkten des Umweltschutzes sorgfältig zu prüfen sein›?" Das "Bieler Tagblatt" liess nicht locker und gab den Herren Bundesräten zu bedenken, "dass sich der Bau eines Flughafens im Grossen Moos niemals verantworten lässt. Schon gar nicht, wenn man den Gedanken des Umweltschutzes nicht nur als Lippenbekenntnis, sondern als grosse Verpflichtung unserer Gegenwart und unmittelbarer Zukunft wirklich ernst nimmt."

Eklat im Grossen Rat

In Bern dachte man tatsächlich nach. Man fragte sich sowohl im Bundeshaus wie auch im Rathaus, ob es richtig sei, den mehrfach geäusserten unmissverständlichen Willen im Seeland gegen einen Flugplatz zu übergehen. Zum denkwürdigen Eklat kam es am 5. Juli 1972 im Grossen Rat, als die grossrätliche Verkehrskommission auf Geheiss von oben dem Streit um den "Kallnach-Airport" ein Ende setzte, indem sie auf die weitere Planung verzichtete, vom Plenum aber, trotz heftiger Gegenwehr der seeländischen Volksvertreter, die Bewilligung erhielt, alle Türen offen zu lassen, was im Klartext heisst: "Für den Fall, dass die Entwicklung der schweizerischen Luftfahrt einen weiteren Flugplatz erfordert, hat der Kanton dieser Tatsache Rechnung zu tragen und ein geeignetes Gelände freizuhalten."

Schutzverband: "Hauptzweck erfüllt"

Müssen wir nun im Seeland damit rechnen, dass uns eines Tages obiger Satz in die Quere kommt? Der Schutzverband glaubt nicht daran und denkt an seine Auflösung. An seine Mitglieder schrieb er neulich: "Es ist davon auszugehen und absolut evident, dass der Hauptzweck des Verbandes, nämlich die Verhinderung einer Projektierung und des Baus eines Flughafens im Grossen Moos, heute nicht mehr zur Diskussion steht und langfristig auch nicht mehr zur Diskussion stehen wird." 



Autor: Fritz Probst / Quelle: Archiv Gassmann um 1973