Historisches Archiv der Region Biel, Seeland und Berner Jura

Zur Geschichte des Weinbaus in unserer Region

Berner Jura - Region / Agglomeration Biel - Seeland - Stadt Biel - Bauern und Bäuerinnen - Naturereignisse - Rebbau und Weinlese - Unglücksfälle und Katastrophen




1. Neolithikum und Antike

Fundgegenstände wie Traubenkerne aus St. Blaise und Schnüre aus Waldreben-Bast aus Port deuten darauf hin, dass die Weinrebe schon den neolithischen und bronzezeitlichen Pfahlbaukulturen bekannt war.  Mit der Romanisierung Helvetiens wurde in Teilen Helvetiens auch der Weinbau eingeführt. Im Wallis wurden Gartenmesser für die Weinlese gefunden, die auf das 2. Jahrhundert nach Christus datiert werden konnten.

2. Mittelalter

Die erste bis heute erhaltene urkundliche Erwähnung des Rebbaus stammt aus dem Jahr 516. Sie betrifft die Reben der Abtei St. Maurice im Kanton Wallis. Die Klöster trugen massgeblich zur Verbeitung des Rebbaus in der Schweiz bei. Ein päpstliches Schreiben belegt, dass am Bielersee schon im Jahr 866 nach Christus Wein angebaut wurde. Werner Bourquin erläuterte 1932: "Das frühe Mittelalter lässt durch die Besitzverhältnisse darauf schliessen, dass der Weinbau in der Gegend bereits festen Fuss gefasst haben muss. Schon damals waren die Rebgüter am Bielersee ein begehrter Besitz."  Viele Rebgüter gehörten dem Ortsadel, zum Beispiel den Herren von Biel, von Twann, von Ligerz und von Tess. Immer häufiger interessierten sich auch die Klöster der näheren und weiteren Umgebung für solche Güter. Nach und nach starben die adligen Geschlechter aus, und der grösste Teil ihres Rebbesitzes kam durch Schenkung oder Verkauf in klösterlichen Besitz. Folgende Klöster besassen Rebparzellen am Bielersee: Bargenbrügg, Bellelay, Engelberg, Fraubrunnen, Frienisberg, Gottstatt, Münster-Granfelden, Rüeggisberg, St. Immer, St. Johannsen, St. Urban, Tedlingen sowie die Johanniterkommenden zu Biel, Münchenbuchsee und Thunstetten.

3. Von der Reformation bis ins 18. Jahrhundert

Mit der Reformation gingen die klösterlichen Reben in den Besitz des Staates Bern über.  Zum Teil wurden sie später an bernische Familien verkauft, doch erst nach dem Ende des "Ancien Régime" kamen solche Güter nach und nach in den Besitz seeländischer Rebbauern. Denn bis ins 18. Jahrhundert war privater bäuerlicher Rebbesitz nicht üblich. In der Regel arbeiteten die Rebbauern für die Stadt Bern oder für bernische Patrizierfamilien. Meistens war eine Winzerfamilie für drei bis vier Mannwerk (=1290 bis 1720 Quadratmeter) Reben verantwortlich. Für ihre Arbeit erhielten sie als "Halbrebenleute" die Hälfte des Ertrags. 

Die frühe Neuzeit war klimatisch durch die "Kleine Eiszeit" (15. bis 19. Jahrhundert) geprägt. Auch der Rebbau am Bielersee litt manchmal unter der Klimaverschlechterung, doch die Qualität des Bielerseeweins nahm auch aus anderen Gründen ab: Viele junge Weinbauern und Weinbäuerinnen fanden eine leichtere Arbeit ausserhalb des Rebbaugebietes, zum Beispiel in den Indienne-Manufakturen oder als Hausangestellte. Um die fehlenden Arbeitskräfte zu ersetzen, mussten Taglöhner beschäftigt werden, und dadurch gingen die Einkommen im Rebbau zurück.  Dies wiederum entmutigte die Rebleute, ihre Arbeit auch weiterhin mit der gewohnten Sorgfalt zu besorgen.

Um die Krise im Rebbau zu überwinden, wurde 1781 die Rebgesellchaft Twann-Ligerz -Tüscherz gegründet. Diese Gesellschaft profitierte von Erkenntnissen der Ökonomischen Gesellschaft, die verschiedene Modernisierungen im Rebbau anregte. Zum Beispiel wurden der Gemüseanbau und das Pflanzen von Bäumen in den Reben eingedämmt. Die Rebgesellschaft kontrollierte zudem, ob die Reben ihrer Mitglieder genügend gepflegt wurden.

Die Massnahmen der Rebgesellschaft scheinen relativ bald genützt zu haben. Jedenfalls wurde die Qualität des Bielerseeweins 1791 in einer Publikation des Göttinger Gelehrten Christoph Meiners ausdrücklich gelobt. Der "Professor der Weltweisheit" schrieb: "Zum gewöhnlichen Tischwein ziehe ich den Seewein, der am Bielersee wächst, dem La Côte und selbst dem Ryfwein vor. Er hat eine angenehme Säure und kommt in Ansehung seiner Lieblichkeit dem guten Markgräfler und dem Johannisberger sehr nahe."

4.  Das 19. und das 20. Jahrhundert

Kurz nach der Französischen Revolution, während der Helvetik (1798-1803), kam es zu wichtigen Veränderungen in der Besitzstruktur. Immer mehr Winzerfamilien erwarben eigenes Rebland, und es wurde möglich, sich vom Zehnten freizukaufen. 
Im Verlauf des 19. Jahrhunderts nahm die Mobilität enorm zu. Im Zusammenhang mit dieser Entwicklung erlebte der Rebbau eine Folge von Katastrophen, die energische Abwehrmassnahmen notwendig machten. Ab 1868 tauchte der falsche Mehltau in unserer Region auf, eine Pilzwucherung, welche die grünen Teile der Reben befällt und die Blätter zum Absterben bringt.  Die Winzer begegneten dieser Plage mit dem Spritzen einer Kupfervitriollösung. Doch auch der echte Mehltau machte ihnen zu schaffen - dieser Pilz zerstörte nicht nur die Blätter der Rebe, er befiel auch die Trauben. Der echte Mehltau wurde mit Schwefelstaub bekämpft. In manchen Gebieten der Westschweiz wurden kurz vor 1900 zudem amerikanische Reben importiert, die gegen diese Pilzkrankheit immun waren. Fatalerweise wurde dadurch ein weiterer Schädling eingeschleppt - die Reblaus. Diese  brachte es fertig, einen Rebstock durch die Schädigung seiner Wurzeln gänzlich zu vernichten. Nur die amerikanischen Reben waren gegen die Reblaus immun. 

Da der aus amerikanischen Reben gewonnene Wein nur wenig Zuspruch fand, blieb nur noch eine Möglichkeit: Die amerikanischen Rebstöcke mussten durch das Aufpfropfen erprobter einheimischer Hölzer veredelt werden. Die Winzer unserer Region reagierten rasch und entschlossen: Schon 1910, also drei Jahre bevor die Reblaus den Bielersee erreichte, wurde im "Pfropfhüsli" zu Twann mit der Erneuerung des gesamten Rebbestandes begonnen. Die Pfröpflinge wurden in ausschliesslicher Handarbeit  hergestellt - trotzdem schafften die geschicktesten Arbeiter bis zu 3000 Schnitte pro Tag. Die veredelten Pfröpflinge wurden sorgsam in Kisten mit feuchtem Sägemehl eingepackt und im „Pfropfhüsli“ bei 30 Grad Wärme im Dunklen vorgetrieben. Die grundlegende Erneuerung der Rebberge am Bielersee dauerte etwa bis 1930, also ganze zwei Jahrzehnte. Mit ihrem entschlossenen Handeln retteten die Winzer am Bielersee den Weinbau in unserer Region. Doch in vielen Gemeinden des Seelandes trug die Zerstörungsarbeit der Reblaus dazu bei, dass der Weinbau definitiv aufgegeben wurde.



Autor: Christoph Lörtscher / Quelle: Christoph Lörtscher, Biel 2011