Historisches Archiv der Region Biel, Seeland und Berner Jura

Jüdische Flüchtlinge im Interniertenlager Büren

Region / Agglomeration Biel - Seeland - Internierung - Landwirtschaftliche Produkte - Religion - Zweiter Weltkrieg




Schwierige Bedingungen für die zivilen Flüchtlinge

Im Spätherbst 1942 wurden hunderte von jüdischen Flüchtlingen im "Concentrationslager" Büren an der Aare untergebracht. Aus verschiedenen Gründen gerieten diese Flüchtlinge in eine besonders schwierige Situation. Denn erstens wurde das Lager weiterhin militärisch geführt - den zivilen Flüchtlingen wurde militärische Disziplin abverlangt, und man bewachte sie wie Internierte. Zweitens war das Lager nicht für Zivilisten eingerichtet, ausserdem war es inzwischen renovationsbedürftig. Drittens fehlte es der Lagerleitung, zum Beispiel dem Kommandanten Lindt, an Kompetenz.

Betroffene erinnerten sich:

Der Flüchtling Max Brusto wies darauf hin, dass die Ernährungsituation zwar vielerorts schlecht gewesen sei, besonders prekär aber im Auffanglager Büren: "Man hat es nie wahrhaben wollen, dass die Flüchtlinge in den Auffanglagern gehungert haben. Sie haben gehungert. Noch im Sommer 1944, nach der Invasion Frankreichs, schrieben die Flüchtlinge aus den sogenannten Quarantänelagern, wie man unsere Lager umgetauft hat, dass man ihnen nicht genügend zu essen gebe. Diese Briefe trugen sogar den Stempel der Militärzensur. So gelitten hatten sie, dass sie sich nicht scheuten, trotz Zensur, es offen zu schreiben. Und noch nach dem Ende-Feuer richteten Insassen eines Auffanglagers einen offenen Brief an alle Instanzen, dass ihre Verpflegung katastrophal sei. Und wer erinnert sich nicht an das unglücksseligste aller Auffanglager, nämlich Büren, dessen Insassen nicht einmal genügend Kartoffeln erhielten, so dass sie des Nachts auf die Felder schlichen, um Kartoffeln und Rüben zu stehlen? Als Büren aufgelöst und die Insassen in ein anderes Lager versetzt wurden, brachten sie in ihren Koffern Kartoffeln mit, weil sie glaubten, es sei in diesem Lager mit der Ernährung genau so bestellt."

Der Flüchtling Harry Herz bestätigte die zeitweise äusserst prekäre Lage im Interniertenlager Büren: "Oft wurden Lebensmittelzuteilungen, die eigentlich für die Lagerinsassen bestimmt waren, an Tiere verfüttert."

Auch Berty Friesländer erinnerte sich: "Es gab immer weniger und weniger Essen. Haben wir uns darüber beschwert, hat der Fourier gesagt: 'Wenn es euch nicht passt, könnt ihr alle dahin zurück, woher ihr gekommen seid.' Sie können sich denken, wie mundtot wir wurden. Zudem hatten wir jeden Morgen, zu früher Stunde, auch in der Kälte, vor der Schlafbaracke Appell zu stehen, und wehe, jemand kam zu spät. Oft wateten wir in knietiefem Dreck. In Anlehnung an den vergleichbaren Morast im Lager Gurs sprachen wir dann in Büren von "Bürs".


Verständnis und Solidarität mit den Flüchtlingen

Die Ausführungen der Flüchtlinge wurden von Schweizer Zeitzeugen bestätigt. Pfarrer Müller berichtete: "Ich sah mir das Lager an und entsetzte mich über die Konzentrationslagerkopie. Die mit geschwellten Kartoffeln einseitig gefütterten Insassen hatten es des nachts alle mit dem Wasser zu tun. Beim ersten Schritt aus der Baracke standen sie im tiefen Dreck. Der ferne Abtritt war nicht erreichbar." (...) 

Bald erhielten die Flüchtlinge Unterstützung von aussen:

- Die Bevölkerung von Büren sammelte Wäsche und Kleider für Frauen und Kinder, aber auch Tassen, Essbestecke und Milchflaschen.

- der evangelische Pfarrer Blaser aus Büren und der katholische Vikar Otto Sprecher aus Biel wandten sich schriftlich an die zuständigen Stellen des EJPD in Bern, um auf die angetroffenen Missstände aufmerksam zu machen. Dem Vikar und seinen Messdienern war es aber verboten, mit den jüdischen Flüchtlingen zu sprechen oder ihre Baracke zu betreten.

- Die israelitische Gemeinde Biel engagierte sich für die Flüchtlinge. Diese erhielten regelmässigen Besuch des Bieler Fürsorgers Picard und des Bieler Rabbiners Lauer.

- In Biel bildete sich im Dezember 1942 ein Ortskomitee für Flüchtlingshilfe. Das Komitee sammelte Kleider, Wäsche und Schuhe sowie Ausrüstungsgegenstände für die Krankenzimmer - Decken, Arzneien, Wärmeflaschen und vieles mehr.


Die Reaktion des EJPD

Im Januar 1943 entschloss sich EJPD-Vorsteher Eduard von Steiger, das Lager selbst zu inspizieren. Im Verlaufe seines Besuches vom 16. Januar 1943 traf er unübersehbare Misstände an. Zum Beispiel forderte ihn die Rotkreuzkrankenschwester Ruth Hablützel auf, vom Essen zu kosten - es war ungeniessbar. Hablützel hatte sich schon früh für die jüdischen Flüchtlinge eingesetzt. Ihre Missachtung des Kontaktverbots hatte sie mit mehreren Tagen Lagerarrest bezahlen müssen. Zudem hatte ihr der Lagerleiter angedroht, sie werde deswegen aus der Armee entlassen werden.

Kurz nach dem bundesrätlichen Besuch wurde beschlossen, die über 100 Frauen und Kinder in ein anderes Lager zu verlegen. Auch die männlichen Zivilflüchtlinge wurden in den folgenden Wochen in verschiedene Arbeitslager versetzt. Kommandant Lindt wurde abgelöst, dann fristlos entlassen und schliesslich militärgerichtlich abgeurteilt.

Quellen:

Max Brusto, "Im Schweizer Rettungsboot", München 1967

"Concentrationslager" Büren an der Aare 1940-1946, Baden 1999


Autor: Christoph Lörtscher / Quelle: Diverse 2010
Format: Christoph Lörtscher, Biel